Lasst mich meine Arbeit machen

Für Alessandro

Da.
Und dann.
Jetzt das.
Und das.
Und einen Eimer.
Kommt hier rein.
Scheisse.
Runtergefallen.
Jetzt einen Besen.
Und dann das.
Muss trocknen.
Was ist denn das jetzt.
Nichts.
Blöd gelaufen.
Funktioniert so nicht.
Jetzt noch was.
Gefunden.
Und jetzt das.
So geht das nicht.
Vielleicht aber doch.
In Ordnung.

– Nicole Weiß (© 2024)

(50 Wörter)

Anmerkung der Autorin
Gestern arbeitete der Handwerker Alessandro S. bei mir im Haus. Diese Kurzgeschichte basiert mehr oder weniger auf Dingen, die er während der Arbeit vor sich hin murmelte.

Ist das ein echter Schriftsteller?

“Sag mal – der da drüben, der sich gerade am Büffet bedient: hat der schon was geschrieben?”
“Na klar doch, wird sind doch bei einem Schriftstellertreffen.”
“Irgendwie sieht er nicht danach aus.”
“Wie stellst du dir denn Schriftsteller vor?”
“Na ja, jünger, modischer. – Was schreibt der denn?”
“Er hat ein paar Bücher veröffentlicht, soweit ich weiß. Gedichte und Stories.”
“Gedichte – igitt! Nischt für Mamas Große. Und mit Stories meinst du Geschichten?”
“Genau.”
“In richtigen Büchern drin oder nur als Kindel?”
“Ja, in gedruckten Büchern.”
“Hast du schon was von ihm gelesen?”
“Irgendwann mal war ich bei einer Lesung, die er hatte. Da las er eine Geschichte vor – irgendwas Science-Fiction-Artiges. War nicht schlecht.”
“Jetzt hat er sich da drüben an einen Tisch gesetzt. Du, ich glaube, ich geh mal rüber zu ihm. Er sieht so allein aus. Vielleicht schenkt er mir ja eins von seinen Büchern und schreibt was rein für mich.”

– Cora Ebenezar (© 2024)

(150 Wörter)

Ein ausgebrannter Fall

“Wenn du mit dem unterwegs bist, dann schimpft er ununterbrochen, dass die Straßen von Idioten, hirnamputierten Arschlöchern, Halb-, Voll- und Grasdackeln bevölkert sind, die in einem Halbdämmerzustand in ihren Blechkisten sitzen, dabei hauptsächlich mit gesenktem Kopf auf ihre gottverdammten Telefone starren und sich entsprechend verhalten, indem sie vor grünen Ampeln stehenbleiben, ständig von ihrer Spur abkommen und andere gefährden – absolut unberechenbar. So geht das die ganze Zeit – ohne Übertreibung!”
“Und wie oft fährst du mit dem?”
“Leider öfter. Wir gehören zur gleichen Fahrgemeinschaft.”
“Aha.”
“Die nächste Generation wird Handy-Implantate haben, sagt er.”
“Interessant.”
“Dann übernimmt das Smartphone das Gehirn komplett.”

– Justinian Belisar (© 2024)

(100 Wörter)

Sprachnachricht

Im Bus mitbekommen (war einfach nicht zu überhören). Teeny (nein, nicht blond) spricht eine Nachricht auf ihr Handy: “Hallo Miachen! Du bist aber auch nie zu erreichen! Was Wichtiges: Leider konnte ich keinen Adventskalender mit 31 Türen auftreiben, musste deshalb einen mit 24 nehmen. Ist das OK? Dickes langes Miau!”

– Cora Ebenezar (© 2023)

(50 Wörter)

Foto: Das oben abgebildete Instant-Foto ist von einem Bild abgeleitet, das von einem KI-Programm erzeugt wurde.

Wer ist Paladin Kuh?

1. Schreibfehler, passt nicht zusammen, ergibt keinen Sinn.

2. Timurischer General, lebte im 14. Jahrhundert, ist bekannt für seinen Sieg über die Taldschiken.

3. Ein von Microsoft erfundener Name für einen Spieler der X-Box.

4. Laut KI ist ein Paladin ein Paladin, während eine Kuh ein gezähmter milchspendender Wiederkäuer ist.

– Cora Ebenezar (© 2023)

(50 Wörter)

Sie nannten ihn Vokuhila

Alle in der Grundschule hatten Angst vor ihm. Es hieß, er esse lebende Frösche zum Frühstück, mit einem Glas Wodka und zwei Rothändle-Zigaretten dazu. Selbst im Winter trug er Shorts, so dass die rot-schwarz-grünen Tätowierungen wilder Fratzen an seinen dicken Beinen für die ganze Welt sichtbar waren.

Er schritt mit weit ausladenden Armen und wankend wie ein Seemann dahin, dass die langen dunkelblonden Locken an seinem Hinterkopf nur so hin und her tanzten. Sein Gang hatte etwas Gewaltsames, als ob er gleich jemand packen und zuschlagen würde. Die Fransen an seiner Stirn waren kaum länger als sein blonder Schnauzbart.

Das also war Vokuhila – Schreckbild von jungem Gemüse wie mir. Mir war sonst von ihm nicht viel bekannt, außer dass er einen gelben Ford Capri mit einem Fuchsschwanz an der Antenne fuhr, und nicht einmal in einem Möchtegern-Rennfahrerstil mit rauchenden Reifen und kreischender Kurvenfahrt, wie man hätte denken können, sondern eher zivilisiert.

Einmal hatte er mit mir geredet – da hatte ich im Laden einen Kaugummi gekauft, den ich als Huba-Buba bezeichnet hatte. Das löste bei dem hinter mir einen kurzen knurrigen Lacher aus – als ich mich umdrehte, sah ich, dass es Vokuhila war. Er blinzelte mir zu und sagte, “Hubba-Bubba heißt der. Kommt aus Amerika. Aber mach dir nichts draus – dadurch wird er auch nicht besser.” Danach kam er mir bedeutend weniger schrecklich, sondern fast menschlich vor.

Dann war ich jahrelang weg – Gymnasium an einem anderen Ort, Studium, Beruf –, zog aber schließlich mit Frau und Kindern doch wieder zurück in mein Heimatdorf, als es meinen Eltern schlecht ging.

Beruflich hatte ich Erfolg, so dass wir nach zwei Jahren daran denken konnten, eine Wohnung zu kaufen. Es gab zwei Geldinstitute am Ort – die Sparkasse und die Volksbank. Wir gingen zuerst zur Sparkasse und holten ein Kreditangebot ein, dann machten wir auch bei der Konkurrenz einen Termin. Mit einem Herrn Baumburger.

Ein Schrank von einem Mann hinter einem großen Schreibtisch. Mit weißem Hemd und Krawatte, Brille und konservativem Haarschnitt. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Er hörte sich unsere Vorstellungen an. Ich sagte, die Zinsen seien leider am Steigen.

“Wem sagen Sie das!” erwiderte er und lachte kurz. Und an dieses Lachen erinnerte ich mich.

“Sagen Sie mal, Herr Baumburger – hat man Sie nicht früher Vokuhila genannt?”

Er sah mich einen Augenblick an. “Allerdings. Aber das ist ewig her. Den wilden Vokuhila gibt’s nicht mehr. Der drückt schon seit Jahren brav die Volksbank.”

– Johannes Beilharz (© 2023)

Das Foto ist AI-generiert und wurde von Hand etwas verbessert.

Eine Kinoverabredung

(Eine Geschichte aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit)

Gewidmet Zoyâ Pirzâd

Morad war nicht zur vereinbarten Zeit eingetroffen, hatte sich bereits eine Viertelstunde verspätet.
Sie war schon zigmal zum Fenster gegangen, hatte den Vorhang zur Seite gezogen und nach ihm Ausschau gehalten.
Um den anzüglichen Blicken und dem vielsagenden Schweigen ihrer Mutter zu entgehen, verließ sie das Haus und ging die Straße hinab zur öffentlichen Telefonzelle. Die gerade beschlagnahmt war durch die gewichtige und sichtlich schwitzende Frau Samadani, in nicht enden wollendes Getratsche vertieft.
Als die Telefonzelle endlich frei war, hatte Morads Mutter keinen Schimmer, wo er war. Vielleicht hatte er es einfach vergessen, mutmaßte sie mit ihrem kaskadierenden Lachen. Diese Kaskade von Gelächter sollte bald ihre Schwiegermutter sein. Vorausgesetzt natürlich, sie würde Morad verzeihen, dass er nicht pünktlich aufgetaucht war.
Um allem die Krone aufzusetzen, war Morad schon da, als sie zurückkam, und hörte sich mit einem Ausdruck glasiger Verklärung die detaillierte Beschreibung ihrer Mutter an, wie man die verschiedensten Dinge strickt.
Keine guten Anzeichen für den geplanten Kinobesuch.
Sie würden den Anfang des Films verpassen, und sie hasste es, wenn sie den Anfang einer Geschichte verpasste.
Tatsächlich war sogar die Zeit vor Beginn wichtig, weil Morad dann Popcorn und Getränke für sie beide kaufen konnte. So konnten sie hineingehen, solange das Licht noch an war, und die Vorschau mitbekommen.
Die ganze Welt, einschließlich seiner kaskadierenden Mutter und ihrer eigenen Mutter, hielt diesen Mann für einen guten Fang.
Aber würde er sich als würdig erweisen … und zur rechten Zeit?

– Johannes Beilharz (© 2023)

(250 Wörter)

Anmerkung des Autors
Die Lektüre des oben abgebildeten Buches Le Goût âpre des kakis (2009 erschienen bei Zulma in Paris) der iranischen Autorin Zoyâ Pirzâd hat diese Geschichte inspiriert.

Personifizierung – oder: Die Ente ist an allem schuld

Der graublaue 2CV von anno 1960 da vorn hält alles auf – das Ding kriecht im ersten Gang den Berg hinauf und keiner kann überholen. Direkt dahinter ein fetter Discovery, sichtlich verrückt vor Ungeduld. Hat schon mehrmals Ausbruchversuche nach links gemacht, dann wieder Schiss gekriegt. Ist halt doch Überholverbot. Jetzt kommt plötzlich ein unverschämter Audi von hinten geschossen, prescht an der ganzen Kolonne vorbei. Wenn das nur gut geht, denn da vorn von der Bergkuppe kommt schon der erste in Gegenrichtung, ein schwarzer Viano. Und dahinter gleich noch ein massiver Iveco in Tarnfarben, also Militär. In letzter Sekunde zwängt sich der Audi zwischen einen Fiat 500 und einen Ford Puma. Der BMW hinter mir wird schon ganz wild – ich seh’s im Rückspiegel an seinen Mundbewegungen. Da wäre doch eine Ausweichstelle, da könnte dieser Citroën doch verdammt nochmal so höflich sein und alle an sich vorbeilassen. Aber nein! Der quietschgelbe VW Up vor mir benimmt sich unberechenbar – mal gehen die Bremslichter an und er kommt fast zum Stehen, dann geht’s plötzlich wieder grundlos flott auf den Twingo vor ihm zu, bis wieder gebremst werden muss, und das bei unserer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 10 km. Quietschgelb, das kann ich jetzt sehen, hält in der rechten Hand ein Telefon und tippt darauf rum. Jetzt knattert eine selbstmörderische Harley vorbei, findet kurz vor einem Frontalaufprall mit dem Iveco eine Lücke. Immer wieder sinnloses Gehupe von Hinz Mercedes und Kunz Peugeot. Wie lang soll das nun noch so weitergehen?

– Justinian Belisar

(250 Wörter)

Foto von Marc Kleen auf Unsplash

Der Verein der Ungeliebten

Uns, den Verein der Ungeliebten (VDU), vereint mehr als sonstige Merkmale die Tatsache, dass wir in den sozialen Medien kaum Freunde und sehr wenige Herzchen, Likes usw. haben. Am allerschönsten ist, dass es Millionen von uns und keinerlei Hierarchie gibt. Es ist einfach, dem Verein beizutreten. Es genügt zum Beispiel, auf Instagram 0 bis 25 Follower zu haben und von 0 bis 25 Likes und Kommentare bekommen zu haben. Direktnachrichten von Leuten, die einem etwas andrehen wollen, zählen nicht. Nimmt die Beliebtheit zu, erfolgt automatisch der Ausschluss aus dem Verein. Wird von Robotern streng überwacht. So besagt zumindest das Gerücht.

– Cora Ebenezar (© 2023)

(100 Wörter)

Die obige Abbildung zeigt die Instagram-Präsenz des Vereinsmitglieds 987.

Sagen des Gesagten

Er sagte, dass er das nie gesagt habe.
Sie sagte, dass er das sehr wohl gesagt habe, und auch andere sagten, dass er das gesagt habe.
Sagte er, dass er so etwas nie und nimmer gesagt habe und dass das von ihr und diesen anderen Personen angeblich mit angehörte Gesagte die reine Unwahrheit sei.
Sie sagte, ob er sie etwas der Lüge zeihen wolle?
Er sagte, dass ihm dieses Verb unbekannt sei.
Sie sagte, so weit sei es also schon gekommen mit dem Verfall von Bildung und Kultur.
Er sagte, ob sie damit etwa sagen wolle, er sei ungebildet?
Sie sagte, genau das habe sie sagen wollen.
Er sagte, warum sie es ihm denn dann nicht direkt ins Gesicht sagen könne, sondern sich hinter irgendwelchen uralten Floskeln verschanze.
Sie sagte, dass es ihr also doch wohl gelänge, ihm ein bisschen Bildung zu entlocken, denn das sei ja ein ganz beachtlicher Satzbau.
Er sagte, das seien alles Nebensächlichkeiten und Ablenkungsmanöver und kinderleicht zu durchschauen.
Sie sagte, er könne sie mal.
Er sagte, allein die Vorstellung davon brächte ihn an den Rand des Erbrechens.
Sagte die Dritte, die bisher geschwiegen hatte, sie sei der Leerheit des hier Gesagten überdrüssig, sie sollten sich gefälligst die Hand geben und damit die gesagte Sache, die ohnehin eine reine Nichtigkeit sei, aus der Welt schaffen.
Er sagte, dass er dann lieber gehen würde, denn dass man ihm gesagt habe, er könne jemand am Arsch lecken, ginge einfach zu weit. Das sei jenseits von unappetitlich.
Sie sagte, es sei typisch für ihn, alles Gesagte so wortwörtlich zu nehmen und es sich in allen Details vorzustellen.
Er sagte, sie habe keine Ahnung von ihm und habe nicht die geringste Berechtigung, von etwas für ihn Typischem zu reden.
Sie sagte, auch diese Verbissenheit sei typisch für ihn.
Er sagte, sie könne einfach nicht nachgeben, das sei typisch für sie. Ob ihr das noch niemals gesagt worden sei?
Sie sagte, das gehe ihr aber nun wirklich über die Hutschnur.
Er sagte, sie habe ja nicht einmal eine Hutschnur.
Nun musste die Dritte trennend einschreiten, denn auf Grund dessen, was gesagt worden war, waren die beiden Streithähne aufeinander zugetreten, hielten sich wütend bei den verkrampften Händen und stierten sich aus kürzester Entfernung an.
Die Dritte sagte, wie’s denn mit einem Kuss wäre? Die Entfernung und das Händchenhalten stimmten ja schon.
Na ja, sagte er.
Na ja, sagte sie.
Sie küssten sich.

(400 Wörter)

– Johannes Beilharz (© 2023)

Foto von Priscilla Du Preez auf Unsplash