Eine Kinoverabredung

(Eine Geschichte aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit)

Gewidmet Zoyâ Pirzâd

Morad war nicht zur vereinbarten Zeit eingetroffen, hatte sich bereits eine Viertelstunde verspätet.
Sie war schon zigmal zum Fenster gegangen, hatte den Vorhang zur Seite gezogen und nach ihm Ausschau gehalten.
Um den anzüglichen Blicken und dem vielsagenden Schweigen ihrer Mutter zu entgehen, verließ sie das Haus und ging die Straße hinab zur öffentlichen Telefonzelle. Die gerade beschlagnahmt war durch die gewichtige und sichtlich schwitzende Frau Samadani, in nicht enden wollendes Getratsche vertieft.
Als die Telefonzelle endlich frei war, hatte Morads Mutter keinen Schimmer, wo er war. Vielleicht hatte er es einfach vergessen, mutmaßte sie mit ihrem kaskadierenden Lachen. Diese Kaskade von Gelächter sollte bald ihre Schwiegermutter sein. Vorausgesetzt natürlich, sie würde Morad verzeihen, dass er nicht pünktlich aufgetaucht war.
Um allem die Krone aufzusetzen, war Morad schon da, als sie zurückkam, und hörte sich mit einem Ausdruck glasiger Verklärung die detaillierte Beschreibung ihrer Mutter an, wie man die verschiedensten Dinge strickt.
Keine guten Anzeichen für den geplanten Kinobesuch.
Sie würden den Anfang des Films verpassen, und sie hasste es, wenn sie den Anfang einer Geschichte verpasste.
Tatsächlich war sogar die Zeit vor Beginn wichtig, weil Morad dann Popcorn und Getränke für sie beide kaufen konnte. So konnten sie hineingehen, solange das Licht noch an war, und die Vorschau mitbekommen.
Die ganze Welt, einschließlich seiner kaskadierenden Mutter und ihrer eigenen Mutter, hielt diesen Mann für einen guten Fang.
Aber würde er sich als würdig erweisen … und zur rechten Zeit?

– Johannes Beilharz (© 2023)

(250 Wörter)

Anmerkung des Autors
Die Lektüre des oben abgebildeten Buches Le Goût âpre des kakis (2009 erschienen bei Zulma in Paris) der iranischen Autorin Zoyâ Pirzâd hat diese Geschichte inspiriert.

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