La-di-da

Was einem alles so einfällt beim Einkaufen – eigentlich habe ich da die besten Kaufideen, sie kommen mir da einfach leichter, schneller, im Einkaufsgetümmel sozusagen, unter den ganzen Kaufgelegenheiten. Langzeit-Kaufentscheidungen sind natürlich was anderes. Welches Auto kaufen wir in zwei Jahren, wenn das jetzige drei Jahre alt ist. Maximal drei Jahre sollte man ein Auto haben und dann ein neues kaufen, sagt Marco. Gebrauchte haben wir schon lange nicht mehr gekauft. Was zum Essen für heute Abend muss ich auch noch kaufen. Und dann noch Einlagen für Missy. Welche Marke soll ich kaufen? Sollte ich die nun dringend kaufen oder hat sie noch ein paar zu Hause? Sie hat gestern wieder davon angefangen, dass wir unbedingt ein neues Haus kaufen sollten, dann würde sie mit Luigi einziehen. Eins in einer besseren Gegend sollten wir kaufen, aber auch mit guter Erreichbarkeit von Einkaufszentren. Gleich Plural! Und was wollte ich denn jetzt noch kaufen? Alles wird zur Zeit teurer, man kann kaum noch was kaufen. Letztes Wochenende musste ich Wasser kaufen – alle Marken teurer, mindestens drei oder vier Cent pro Flasche. Aber was sollte ich denn jetzt noch unbedingt kaufen? Irgendwas war doch ausgegangen. Obst? Bananen? Auch die haben wahnsinnig aufgeschlagen seit dem Ukrainekrieg. Was hat Putin mit Bananen zu tun? Sogar das Katzenfutter ist teurer. Muss ich für Gelsomina kaufen. Wer hat eigentlich diesen Namen für die Katze ausgesucht? Ja, Luigi war’s, glaube ich. Der gibt immer seinen Senf dazu, als ob er schon der Schwiegersohn wäre. Fühlt sich wie der Hahn im Korb. Der hat Missy sicher auch diesen Floh ins Ohr gesetzt von wegen einem größeren Haus kaufen. Also, da wären wir angekommen. Jetzt noch möglichst nahe am Ausgang parken. Ich hasse es, den Einkaufwagen zu schieben. Meistens läuft mindestens eines der Räder schlecht. Haare in den Lagern, sagt Marco, die verfangen sich da. Zu viel Dreck überall, also auch Haare. Auto zu, jetzt rein ins Paradies. Meinen Tempel nennt Marco den Supermarkt. Zu faul, um selbst einzukaufen. Muss ihn mal zum Einkaufen losschicken, sicher vergisst er wieder die Hälfte oder findet nichts. Mal sehen, was es heute für Sonderangebote gibt. Ohne Sonderangebote geht nichts mehr bei dieser Inflation. Beeilen muss ich mich. Oh Kaufwut!

– Nicole Weiß (© 2023)

(365 Wörter)

Foto “Cet objet obscur du désir” von Pascal de Granai mit freundlicher Genehmigung des Urhebers

Das Mädchen von der Haltestelle Kafka

“Na, was glotzt ihr so? Noch nie jemand wie mich gesehen mit knallroten Haaren, Piercings, Tätowierungen an Armen und Beinen, ausgefransten Shorts, schwarzen Springerstiefeln im Hochsommer? Und das an einer Haltestelle für öffentliche Verkehrsmittel, bei der’s eher aussieht wie nach Müllkippe – eine verschimmelte Matratze hier, abgefahrene Reifen, eine Kloschüssel auf dem Kopf, weggeschmissene DVDs ohne Hülle, ausgemusterte Schulhefte, zertrümmerte Möbel und viel übelriechender Abfall in Plastiktüten. Wird natürlich von den Müllmännern nie entfernt, weil die uns hassen. Während ihr vorbeifahrt mit euren fetten Ärschen in den fett gepolsterten Sitzen eurer fetten SUVs und mir angeekelte Blicke zuwerft. Wenn ihr mich überhaupt wahrnehmt. Aber eins kann ich euch versprechen: ich komme hier raus aus diesem versifften Dreckloch mit seinen Mafiosi, Dealern, Tagedieben, Trunk- und Drogensüchtigen und Asozialen – eines Tages schaffe ich das. Ich habe einen Plan. Und dann könnt ihr was erleben, ihr privilegierten Arschlöcher, denn ich vergesse und vergebe nichts.

– Cora Ebenezar (© 2022)

(150 Wörter)

Aus dem Tagebuch einer Schnecke

Seit Tagen ist es so heiß, dass es schwierig ist, ausreichend Schleim für die täglichen Unternehmungen zu erzeugen. Von dem schwarzen, ebenen Band, das ich in kühleren Tagen regelmäßig überquere, um bessere Weiden zu finden, halte ich mich tunlichst fern. Heute viermal die Augen einziehen müssen – glücklicherweise keine wirklichen Gefahren.

– Julius Schneck (© 2022)

(50 Wörter)

Nachbemerkung des Autors
Es ist für uns Schnecken nicht einfach, Dinge festzuhalten. Sie müssen mit bewusster Anstrengung in einen globalen Speicher gedacht werden. Gestern hatte ich den Einfall, Ereignisse aus meinem Leben aufzuzeichnen. Dies ist der erste Band. Weitere sollen folgen, falls ich überlebe und dazukomme.

Photo by Julian on Unsplash

Franz Kafka – Der Geier

Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde.
“Ich bin ja wehrlos”, sagte ich, “er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.”
“Dass Sie sich so quälen lassen”, sagte der Herr, “ein Schuss und der Geier ist erledigt.”
“Ist das so?” fragte ich, “und wollen Sie das besorgen?”
“Gern”, sagte der Herr, “ich muss nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?”
“Das weiß ich nicht”, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: “Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.”
“Gut”, sagte der Herr, “ich werde mich beeilen.”
Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, dass er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.

– Franz Kafka

Anmerkung
Diese Erzählung stammt aus dem Nachlass von Kafka und wurde auf den Spätherbst 1920 datiert. Erstmals veröffentlicht wurde sie 1936. Der Titel wurde von Max Brod gewählt.

Selbstverständlich wusste Kafka nichts von den Regeln irgendwelcher Blogs – vor mehr als 100 Jahren gab es ohnehin keine – und hätte sich wahrscheinlich sowieso nicht für solche Formalitäten interessiert, so dass hier die Anzahl der Worte irrelevant ist.

Foto von Nick Kwan auf Unsplash

Numerologie

“Ist dir auch schon aufgefallen, dass man sich manche Zahlen leicht merken kann, während andere viel widerspenstiger sind?”
“Genau!”
“Ganz klare Favoriten sind natürlich Zahlen mit zwei Nullen am Ende. Bei drei Nullen wird’s schon schwieriger, weil man sich dann merken muss, wie viele es sind.”
“Genau!”
“Es ist zum Beispiel leicht, sich an die Zahl 100, 1000 oder 10000 zu erinnern, nicht aber an eine Million oder Milliarde. Zu viele Nullen.”
“Genau!”
“Liebling, sagst du eigentlicht immer genau? Ich dachte, das wäre in den Neunzigerjahren mal Mode gewesen, dann aber wieder abgeebbt.”
“Genau!” Damit zwinkerte sie mich boshaft an und gab mir einen kurzen, nassen Kuss auf die Lippen.
“Danke!”
“Seltsamerweise finde ich, dass Zahlen, die auf 072 enden, leicht zu merken sind. Geht dir das auch so?”
“Eigentlich nicht. Aber Zahlen, die auf 99 enden, kann ich mir gut merken. Falls sie nicht zu lang sind, natürlich.”
“Definiere zu lang.”
“Sechs Stellen sind optimal, länger wird schwierig. Ich bin aber auch kein Zahlen- und Merkegenie, gebe ich offen zu.”
“Genau!”
Wieder grinste sie mich boshaft an. Sollte ich es mit dieser Frau wirklich ein ganzes Leben lang aushalten können, wie ich es ihr in der Kirche geschworen hatte?

– Justinian Belisar (© 2022)

(200 Wörter)

Die Gasse der dunklen Läden

Las ich doch ein Zitat von Patrick Modiano über die Côte d’Azur im Winter und dachte, ich könnte vielleicht etwas Modiano-Ähnliches schreiben. Hat der Typ übrigens nicht den Nobel für Literatur bekommen?

Gelesen von ihm habe ich nur Die Gasse der dunklen Läden. Von dieser Lektüre ist nichts geblieben als ein dunkles, undefiniertes Gefühl (also eher schwummrig) und eine Erinnerung an etwas Enttäuschung. Denn das Buch erfüllte das Versprechen des mysteriösen Titels, dessentwegen ich es gekauft hatte, nicht. Etwas Schwummriges, Undefiniertes, Dunkles hatte es allerdings schon, daran meine ich mich zu erinnern. Und auch ein undefiniertes Ende – eines dieser Enden, das einen mit an den Felsen geklammerten Händen über einem Abgrund hängen lässt.

Viel später entdeckte ich bei einem Spaziergang in Rom, dass es da eine Straße des Namens Via delle Botteghe Oscure gibt, in der es eigentlich nichts Besonderes gibt außer der Krypta Balbi, die in der Antike zum Theater des Balbus im mittleren Marsfeld gehörte und jetzt Teil des Römischen Nationalmuseums ist.

Wenn ich also etwas im Stile Modianos schreiben wollte, müsste es etwas mit einem vielsprechenden Titel sein und einem Inhalt, der mit dem Titel kaum etwas zu tun hat. Ich könnte dieses Prunkstück der Fiktion zum Beispiel Sonntag im August nennen und in der Antike auf dem Marsfeld spielen lassen, das als Schaf- und Pferdeweide Verwendung fand, wenn es nicht für Militärübungen genutzt wurde.

Wie wär’s mit einer Romanze zwischen einer Schafhirtin und einem Centurio mit dem Spitznamen Oscuro, nach dem später die Straße benannt wurde?

– Johannes Beilharz (© 2022)

(250 Wörter)

Neues vom Büttel

“Den Büttel hab ich satt, liebe Freundin! Keine Vorwürfe, bitte! Der hat mich heute zweimal gekratzt – mit voller Absicht. Der kriegt morgen nichts zum Fressen, da kann er mich anbetteln und traurige Augen machen solange er will. Der bleibt in der Dusche eingesperrt. Keine Aufmerksamkeit. Keine Leckerli. Schluss aus miau!”

– Johannes Beilharz (© 2021)

(50 Wörter)

Anmerkung
Beruht zwar auf beobachteten Tatsachen, ist aber maßlos übertrieben und wird ausdrücklich nicht zur Nachahmung empfohlen.

Inbesitznahme

Helma, Erich und Nachwuchs sind am Urlaubsziel eingetroffen.
“Was für ein schönes Zimmer! Ich kann’s kaum glauben.”
“Sieht so gut aus wie im Internet.”
“Ich teste gleich mal das Bett. Du weißt, ich kann weiche Betten nicht ausstehen.”
“Ich weiß! Und dicke Kopfkissen auch nicht.”
“Leider wieder zwei Matratzen. Hatten wir nicht französisch angekreuzt?”
“Herrliche Aussicht! So ein wunderbarer, sauberer Strand!”
“Und türkis glitzerndes Wasser.”
“Kaum Wellen. Da können sogar die Kinder schwimmen.”
“Mama! Da ist eine Baby-Badewanne im Bad!”
“Das ist ein Bidet, Isi. – Ich sehe keine zusätzliche Rolle Toilettenpapier. Das müssen wir unbedingt an der Rezeption melden, Erich.”

– Cora Ebenezar (© 2021)

(100 Wörter)

Foto von Johannes Beilharz.

Überholen

“An diese Reise erinnere ich mich nicht besonders gut. Ich hatte damals einen kleinen roten Sportwagen, einen Lancia, und hatte Roberto, einen Typ, den ich ein paar Tage zuvor bei einer Konferenz im Tessin kennengelernt hatte, spontan zu einer Spritztour ohne Ziel nach Italien eingeladen. Oder vielleicht war er es, der die Idee gehabt hatte. Alles ging an den ersten zwei Tagen gut, bis sich dann zunehmend herausstellte, dass wir uns wenig zu sagen hatten und in fast nichts einer Meinung waren. Ich ging gern in einfache Restaurants, in denen die Mama kochte, er wollte immer irgendwas mit mindestens drei Sternen. Ich mochte kleine historische Nester und Strandspaziergänge, er möglichst große Städte und endlose Nächte und Suff in Diskos mit Abschleppen irgendwelcher Chiquititas. Aus diesem Ausflug machte dann jemand, ein Italiener, wenn ich mich recht erinnere, einen Film, der zu seiner Zeit viel Erfolg hatte. Als wir uns viele Jahre später per Zufall wieder über den Weg liefen, sagte mir Roberto, dass er die Geschichte einem Freund aus der Filmbranche erzählt hatte, der gemeint hatte, daraus ließe sich sicher etwas machen. Die Hauptrollen hatten Jean-Louis Trintignant und Vittorio Gassman. Auch diese hübsche belgische Schauspielerin, wie hieß sie noch? – damals war sie ziemlich bekannt –, spielte mit. Der Unfall mit Todesfolge, mit dem Streifen endet, war sicher ein Versuch, ein bisschen Dramatik in die ansonsten banale Geschichte zu bringen. Ereignet hat er sich jedenfalls in Wirklichkeit nicht. Ich bin zwar gern auf der Überholspur, aber Überholen in einer unübersichtlichen Kurve: nein danke.”

– Justinian Belisar (© 2021)

(250 Wörter)

Das Bild zeigt Jean-Louis Trintignant und Vittorio Gassman in einer Szene aus dem Film Il Sorpasso (deutscher Titel Verliebt in scharfe Kurven) von Dino Risi (1962), auf den in der obigen fiktiven Geschichte Bezug genommen wird.

Neues vom Guru

“Das ist Hirn”, sagte der Guru.
“Ich esse kein –“
”Hirn und kein Herz”, setzte mich der Guru fort.
“Und keine Innereien”, vervollständigte ich mich selbst.
“Vegetarier schaffen es nicht weit”, sagte einer unter der Anhängerschaft.
Nun begann der Guru, mit einem Löffel die braune Soße des Hirnbratens auf meine saubere blaue Anzughose zu träufeln.
Ich versuchte sofort, mir seine Hand mit dem Löffel vom Leibe zu halten, doch war er erstaunlich stark. Die nassen braunen Flecken auf meinen Knien nahmen zu.
“Seht, seht – es ist ein Kampf des Willens!” rief eine Anhängerin.
Was wollte mir der Guru damit nun beibringen?

– Justinian Belisar (© 2021)

(100 Wörter)

Foto von Darius Bashar auf Unsplash