Amorphe Bewegung in drei Küssen

„Hier geht es doch gar nicht um Kunst!“ schrie Eugen mit erhitztem Gesicht und Erbitterung.

„Wie ihr Modernen doch immer allem die Substanz abgrabt!
Das soll eine Frau sein? Sieht aus wie ein verbogener Kleiderbügel und überhaupt ihr Haar wie ein Betonklotz, und eine Vulva wie Kakaoschalen!
Schönheit, Pracht, prall volles Leben, Leidenschaft, Liebe – dazu seid ihr nicht fähig!“

Filisterhafter Tiefschlag für die Vernissage. Schönes, schönes Wort – noch nie Vernissage gewesen?

Die Frau in seiner Begleitung nahm den Erregten am Arm.

Zögerlicher Abtransport eines zerbrochenen Rahmens.

Ein Blick hinaus und hinab – dort schluchzte Eugen, und die zitronenhafte Frau im hängenden Blumenkostüm mit ihren bleichen dünnen Waden stopfte ihn in die Beifahrerseite eines dunkelgrünen Citroën hinein. Dann verweilte ihr Kopf vor seinem.

Mindestens drei Küsse, mindestens drei Küsse, mindestens drei Küsse.

Feuchte rote Lippen wie blutgeschwellte Hibiskusblüten.

Johannes Beilharz (© 2005)

(136 Wörter – und damit völlig regelwidrig)

2 Gedanken zu „Amorphe Bewegung in drei Küssen

  1. Also, ich hab mit dieser Story kein Problem. Einerseits wird der heutige Kunstbetrieb durch den Kakao gezogen. In dieser schicken Kunstwelt kommt Kritik von einem scheinbar unbedarften und deshalb hysterisch wirkenden Außenseiter wie Eugen nicht gut an. Aber Gott sei Dank hat er ja die unschicke Frau, die ihm heiße Küsse verpasst (und die echten Gefühle zu haben scheint, deren Mangel er der Kunstszene ankreidet).

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