Nenn es Schicksal, nenn es Fügung

I

Auf der engen Wagenburgstraße kam ihm ein Lastwagen entgegen, also bog er nach links in die Bergstraße ein. Dadurch verpasste er um Haaresbreite eine Parklücke in der Klingenstraße, in die er durch den kleinen Umweg verspätet einbog, so dass er durch die Suche nach einem Parkplatz, den er schließlich zwei Häuserblocks weiter fand, erst eine Viertelstunde später zu Hause eintraf. Dort kam ihm bereits auf der Treppe Gasgeruch entgegen.

Er fand seine Freundin leblos auf dem Küchenboden vor dem Herd, sperrte das Gas ab und alle Fenster auf, versuchte Wiederbelebung, rief die Ambulanz, ließ die Sanitäter herein, schaute zu, fuhr mit ins Krankenhaus. Zu spät: Irina war tot.

Es folgten grauenerregende Tage – Kontaktaufnahme mit Irinas zerstrittener Schwester in Wuppertal, Behördengänge, schuldzuweisende Anrufe von Irinas Eltern aus Russland, Beerdigung. Alles ging unter in einem Alptraum aus Muss, Soll, Selbstquälerei und Qual durch andere.

Die Probleme in der Arbeit, mit seinem Chef verschärften sich. Er zählte zusammen, was er bei sich verschiedene Winke des Schicksals nannte, und kündigte.

II

Er beschloss, nach Irland zurückzukehren, wo er noch Verwandte und ein paar Freunde von früher hatte. Er zog vorübergehend bei seiner Schwester ein und fand innerhalb von fünf Wochen eine Anstellung, nicht allzu gut bezahlt, die ihn aber im Großen und Ganzen befriedigte. Abends ging er ins Kino oder traf sich im Pub mit den alten Chaps. Das erlahmte nach einiger Zeit, da man sich doch auseinandergelebt hatte. Er hatte aber nette Kollegen für den Alltagsumgang, konnte die freiwerdende Wohnung über der seiner Schwester mieten, fing an, sich zögerlich mit Alexandra, einer deutschen Arbeitskollegin, zu treffen und war ein paar Monate danach wieder ein gebundener Mann.

„Hast du Irina sehr geliebt?“ fragte sie eines Tages.
Er zögerte ihr zu lange.
„Entschuldige, die Frage war wohl nicht willkommen.“
„Nein, das ist es nicht. Ich möchte die Wahrheit dazu sagen. Und die zu finden ist gar nicht so einfach. – Weißt du, zum Schluss war alles so kompliziert. Sie trank zu viel, nahm Antidepressiva, hasste meist Gott, die Welt, ganz besonders Deutschland und im Prinzip auch mich. Durch so etwas werden letztendlich alle Gefühle abgeschliffen.“
Alexandra blickte ihm in die Augen und küsste ihn sanft auf die Lippen.
„Lass es ruhen“, sagte sie.

– Kieran Brannagh (© 2007)

365 Wörter

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..