Rotkäppchen und der böse Wolfgang

“Und überhaupt – wer trägt heut schon noch so einen Fummel?”
Rotkäppchen schaute beschämt und errötend auf seine roten Schuhe. Ja, auch sie waren rot.
Die Oma hatte es eben mit ihrer Witwenrente von Opa, der nur Kellner gewesen war, nicht eben dicke.
“Geh mit mir in die Stadt, du blasses Ding, und ich zeig dir Sachen, von denen du keine Ahnung hast, kauf dir modischen Fummel!”
“Ist doch alles Quatsch,” kam es vehement aus dem sonst so scheuen Kind, “ich kenn dich doch, kenn deinen Typ!”
“Meinen Typ? Was soll das heißen?”
Wolfgang bleckte die weißen Zähne.
“Du bist ein Wolf! Und vor Jahren hättest du beinah die Oma verspeist!”
Und damit ließ Rotkäppchen das Körbchen mit der Götterspeise und den Katzenzungen für Oma fallen und rannte weg.
Wolfgang aber stand da und schüttelte den Kopf.
So eine Göre war ihm in seinem ganzen Leben als Aufreißer noch nicht untergekommen.

– Nicole Weiß (© 2012)

(150 Wörter)

Von Nicole Weiß stammt auch die Ultrakurzgeschichte Rotkäppchen ist im Haus.

Ein Gedanke zu „Rotkäppchen und der böse Wolfgang

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