
Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde.
“Ich bin ja wehrlos”, sagte ich, “er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.”
“Dass Sie sich so quälen lassen”, sagte der Herr, “ein Schuss und der Geier ist erledigt.”
“Ist das so?” fragte ich, “und wollen Sie das besorgen?”
“Gern”, sagte der Herr, “ich muss nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?”
“Das weiß ich nicht”, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: “Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.”
“Gut”, sagte der Herr, “ich werde mich beeilen.”
Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, dass er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.
– Franz Kafka
Anmerkung
Diese Erzählung stammt aus dem Nachlass von Kafka und wurde auf den Spätherbst 1920 datiert. Erstmals veröffentlicht wurde sie 1936. Der Titel wurde von Max Brod gewählt.
Selbstverständlich wusste Kafka nichts von den Regeln irgendwelcher Blogs – vor mehr als 100 Jahren gab es ohnehin keine – und hätte sich wahrscheinlich sowieso nicht für solche Formalitäten interessiert, so dass hier die Anzahl der Worte irrelevant ist.