Eines Morgens fasste er sich schließlich ein Herz und hielt sie auf dem Gang an.
“Julie?”
“Ist was?”
“Das frage ich dich. Seit Wochen redest du nicht mehr mit mir, gehst mit gesenktem Blick an mir vorbei. Also sag mir bitte nicht, dass nichts los ist.”
“Und nun?”
“Wär nett, wenn du mich einweihen würdest.”
“Du blickst wohl gar nichts.”
“Kann schon sein. Aber da ich’s offenbar nicht blicke, musst du mich aufklären.”
“Erinnerst du dich, dass du mir alles erzählt hast letzten Herbst – über deine Eheprobleme, deine Depressionen – das ganze Zeug? Bis in alle Intimitäten.”
“Ja, natürlich erinnere ich mich.”
“Und jetzt lasst ihr euch scheiden.”
“Ja.”
“Sogar einen Rechtsanwalt habe ich dir empfohlen.”
“Dafür danke ich dir.”
“Und?”
“Wie und?”
“Hast du dir dabei gar nichts gedacht?”
“Dass ich dir das alles erzählt habe?”
“Ja. Das hast du einfach so getan?”
“Es tut mir leid, dass dich das zu sehr belastet hat.”
“Blödsinn. Sowas erzählt man doch nicht jedem.”
“Allerdings. Du hast mir ja auch von dir und deinen Problemen, von deiner Scheidung erzählt. Ich dachte, wir wären Freunde.”
“Freunde! Dass ich nicht lache.”
“Solche Dinge erzählen sich gute Freunde. Oder etwa nicht?”
“Das war’s dann also?”
“Ich tappe immer noch vollkommen im Dunkeln.”
“Weiter hast du dir gar nichts gedacht?”
“Weiter? Ich fand es schön, dass ich dir diese Dinge erzählen konnte. Und fnde es schade, dass das nun offensichtlich zu Ende ist.”
“Ha!”
Es entstand eine Pause, während der er nachdachte und sie, wie er es von ihr kannte, ungeduldig von einem Bein aufs andere trat.
“Hast du angenommen, ich hätte dir das alles erzählt, weil ich an dir als Frau interessiert wäre? – Entschuldige, aber das ist der einzige Grund für dein Verhalten, der mir einfällt.”
“Arschloch!”
Und damit stolzierte sie hastig weg, mit gesenktem Blick.
– Erika Bedardi ( © 2008 )
300 Wörter
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