Auf ein anderes Gleis geworfen

Ein toller Mann – groß, schlank, leidenschaftlich heiße Augen, gut gekleidet, eingebildet, an mir vorübergehend interessiert, führt wahrscheinlich eine Strichliste der Frauen, die er verführt hat. Diese brasilianische Sanftheit, das Pantherhafte aus dem Urwald. Und ich darf jetzt heim nach Kalabrien mit seinem Mitbringsel unter dem Herzen – wie man so sagt.

– Erika Bedardi ( © 2009 )

Anmerkung der Autorin: Die sehr abgekürzte, aber wahre Geschichte einer Freundin.

50 Wörter

Eine langweilige Geschichte

Len liebte Aliya, aber Aliya liebte Len nicht. Len vergrub sich in Arbeit und ging abends mit Freunden aus. Er versuchte alles, um Aliya zu vergessen, aber es gelang ihm nicht, da er sie jeden Tag in der Arbeit sah. Eine lange, quälende Geschichte ohne Ende. Eine Bleikugel im Bauch.

– Erika Bedardi ( © 2009 )

50 Wörter

Wer tötete den Vater?

Aus den Tagebucheinträgen der Damar Thor

Samstag, 6.2.

Gestern Abend an unserer Schule in einer 3 1/2-stündigen Theateradaption von Dostojewskis “Die Brüder Karamasow” – nicht zu empfehlen. In der vorausgegangenen Nacht hatte ich kein Auge zugetan (meine ewige Schlaflosigkeit plus rastlose, sich im Kreise drehende Gedanken an A.) und nickte deshalb immer wieder ein. Aber in den Gesichtern anderer Zuschauer konnte ich Ähnliches lesen. Verwirrung. Wer war wer? Was hatte das alles miteinander zu tun? Unglaublich Verschlungenes. Der Macho-Offizier-Bruder, der schizophrene Aljoscha, dem der Mord eingeredet werden soll. Iwan der Atheist. Wieviele Brüder? Drei oder Vier? Welcher tötete den Vater?

– Erika Bedardi ( © 2009 )

100 Wörter

Eine heiße Erotikgeschichte

“Du, ich hab bei dieser Hitze einfach keine Lust”, sagte sie, “und ich mag’s nicht, wenn Schweiß zum Gleitmittel wird.”
“Warten wir eben, bis die Klimaanlage wieder anläuft.”
“Außerdem bist du ja auch ganz schlaff.” Sie zeigte an ihm hinab.
“War deine hirnrissige Idee, im Juli nach Indien zu fliegen.”

– Erika Bedardi ( © 2008 )

50 Wörter

Anmerkung
Dieselbe Autorin schrieb auch Eine kalte Erotikgeschichte – die mit Abstand am meisten besuchte Geschichte der Ultrakurzgeschichten.
Von ihr stammen außerdem:
Das Zicklein und seine Probleme mit dem Schnellmerker
Geständnisse
Voll daneben
Ein lauschiges Eckchen in der Großstadt

Die Zeichnung stammt von Johannes Beilharz.

Das Zicklein und seine Probleme mit dem Schnellmerker

Eines Morgens fasste er sich schließlich ein Herz und hielt sie auf dem Gang an.
“Julie?”
“Ist was?”
“Das frage ich dich. Seit Wochen redest du nicht mehr mit mir, gehst mit gesenktem Blick an mir vorbei. Also sag mir bitte nicht, dass nichts los ist.”
“Und nun?”
“Wär nett, wenn du mich einweihen würdest.”
“Du blickst wohl gar nichts.”
“Kann schon sein. Aber da ich’s offenbar nicht blicke, musst du mich aufklären.”
“Erinnerst du dich, dass du mir alles erzählt hast letzten Herbst – über deine Eheprobleme, deine Depressionen – das ganze Zeug? Bis in alle Intimitäten.”
“Ja, natürlich erinnere ich mich.”
“Und jetzt lasst ihr euch scheiden.”
“Ja.”
“Sogar einen Rechtsanwalt habe ich dir empfohlen.”
“Dafür danke ich dir.”
“Und?”
“Wie und?”
“Hast du dir dabei gar nichts gedacht?”
“Dass ich dir das alles erzählt habe?”
“Ja. Das hast du einfach so getan?”
“Es tut mir leid, dass dich das zu sehr belastet hat.”
“Blödsinn. Sowas erzählt man doch nicht jedem.”
“Allerdings. Du hast mir ja auch von dir und deinen Problemen, von deiner Scheidung erzählt. Ich dachte, wir wären Freunde.”
“Freunde! Dass ich nicht lache.”
“Solche Dinge erzählen sich gute Freunde. Oder etwa nicht?”
“Das war’s dann also?”
“Ich tappe immer noch vollkommen im Dunkeln.”
“Weiter hast du dir gar nichts gedacht?”
“Weiter? Ich fand es schön, dass ich dir diese Dinge erzählen konnte. Und fnde es schade, dass das nun offensichtlich zu Ende ist.”
“Ha!”
Es entstand eine Pause, während der er nachdachte und sie, wie er es von ihr kannte, ungeduldig von einem Bein aufs andere trat.
“Hast du angenommen, ich hätte dir das alles erzählt, weil ich an dir als Frau interessiert wäre? – Entschuldige, aber das ist der einzige Grund für dein Verhalten, der mir einfällt.”
“Arschloch!”
Und damit stolzierte sie hastig weg, mit gesenktem Blick.

– Erika Bedardi ( © 2008 )

300 Wörter

Geständnisse

Emily poppt mit Mirko betrunken in ihrer klaustrophobischen Küche auf der Arbeitsplatte. Die feuchtfröhliche Geburtstagsparty im Wohnzimmer läuft auf Hochtouren weiter. Christine, Emilys beste Freundin und Mirkos aktuelle Lebensgefährtin, betritt auf Suche nach Prosecco zufällig auch die Küche und erwischt die beiden in Aktion.

Oh mieser Schock!

Wer aber hat Emily zusammengeschlagen und mit einem hausgemachten Pappschild um den Hals spät nachts am Kirchengartenzaun angekettet?

Arme Emily! Kalte gefesselte Nacht auf dem Trottoir! Und weit und breit kein Samariter…

Wie passt nun Axel, der trotz vehementen Ableugnens immer noch unleugbar eifersüchtige Ex-Freund Emilys, ins Bild?

Fortsetzung und Lösung auf Pro7.

– Erika Bedardi (© 2007)

100 Wörter

Voll daneben

Alfons bringt, wie verabredet, den in eine teure Flasche abgefüllten Hauswein.
“Danke, Alfons!”
Er kredenzt, ich führe die Nase übers Glas.
“Ein wundervoller Tropfen – erdig, etwas beerig. Randlage, aber prachtvoller Säuregehalt.”

Kickt mich diese Zicke doch unterm Tisch und zieht ab mit einem “Du Angeberarsch!”, das im ganzen Nobelrestaurant hallt.

– Erika Bedardi (Copyright 2007)

Ein lauschiges Eckchen in der Großstadt

“Du bist schmutzig!”
“Du bist ja ganz bekleckert!”
“Und du nicht ganz dicht!”
“Na und? Aber du stinkst!”
“Was kann ich dafür, dass die Hunde mich besuchen und ihr Bein heben!”
“Und was soll ich erst sagen? Ich hab nur noch ein paar Krümel und keinen Sinn mehr”, sagte die leere Zigarettenschachtel.

– Erika Bedardi (Copyright 2007)

Eine kalte Erotikgeschichte

Sie legte die Teile sorgsam auf dem Labortisch aus: Penis, Hoden im runzeligen Sack, behaarte Mons, Vagina mit Klitoris, Häubchen und Lippenpaaren, weibliche Brüste und männliche Brust sowie andere erogene Zonen, von denen sie gehört oder gelesen hatte.

Nun zu den Utensilien – den Skalpellen, dem Mikroskop, den Sensoren und Messgeräten.

– Erika Bedardi (Copyright 2007)